Die Klagelieder Jeremias sind ein poetisches Buch über den Zustand der gefallenen Stadt Jerusalem und ihrer wenigen zurückgelassenen Bewohner. Wer genau hinschaut, entdeckt, dass außer dem 3. Kapitel jedes 22 Verse hat. Kapitel 3 hat 66 Verse (3 x 22). In den Kapiteln 1, 2 und 4 beginnt jeder Vers mit dem nächsten Buchstaben des hebräischen Alphabets. Also auf Deutsch wäre das so: Vers 1 beginnt mit dem Buchstaben A, Vers 2 mit dem Buchstaben B usw. In Kapitel 3 haben wir immer drei Verse, die mit demselben Buchstaben beginnen. Die darauffolgenden Verse beginnen mit dem darauffolgenden Buchstaben usw. Nur in Kap 5 gibt es solche stilistischen Besonderheiten nicht. Das Zentrum bildet das 3. Kapitel, das auch inhaltlich hervorsticht. Es ist voller Hoffnung und Zuversicht auf Gott.

Zunächst zu dem Wort, das in Kapitel 2 sechsmal vorkommt: Zorn.

Wie hat der Herr die Tochter Zion mit seinem Zorn überschüttet! Er hat die Herrlichkeit Israels vom Himmel auf die Erde geworfen; er hat nicht gedacht an seinen Fußschemel am Tage seines Zorns.

Die Bibel. (LU84)

Wichtig ist, dass wir den menschlichen Zorn nicht mit dem göttlichen Zorn verwechseln, auch wenn es Ähnlichkeiten gibt. Der menschliche und der göttliche Zorn sind beide eng mit Liebe verbunden. Wir können nur zornig auf jemanden sein, den wir eigentlich lieben. Warst du mal auf einen Menschen zornig, den du liebst?

Der große Unterschied ist, dass der menschliche Zorn eine emotionale Reaktion ist. Es ist also eine gefühlsbetonte Reaktion. Der göttliche Zorn hat dagegen mit Gerechtigkeit und Gericht zu tun. Wir erhalten, was wir für unseren Ungehorsam verdient haben: das Gericht. Zorn ist in dem Fall also eine verstandesmäßige und gerechte Reaktion. 

Wir sehen das auch in unserem Vers: am Tage seines Zorns (s. a. Vers 22). Damit ist der Tag des letzten Gerichtes gemeint. Wir lesen von einer Messschnur (2,8), ein weiteres Symbol des Gerichtes Gottes. Juda wird für seinen Ungehorsam gegenüber Gott gerichtet (2,14). Gott lässt seinen Zorn nicht willkürlich an Menschen aus, wie wir das manchmal tun, wenn wir genervt sind. Im Gegensatz dazu ist sein Zorn Gerichtsvollzug, vor dem er 350 Jahre lang gewarnt hatte. Das Neue Testament bestätigt den Zusammenhang zwischen Zorn und Gericht (Röm 2,5; 5,9).